WOHNBAU WALTERSDORF

Revolution des Wohnens mit heiligen Geboten: Wohnbau
Revolution des Wohnens mit heiligen Geboten: Wohnbau
in Bad Waltersdorf. Foto: Wegscheidler

Wohnen im Experiment

17.07.2006

Neue Formen des Zusammenlebens verlangen nach neuen Formen des Wohnens. Aber wie lebt es sich im Experiment? Ein Lokalaugenschein im "Schwarzen Laubfrosch" von Splitterwerk in Bad Waltersdorf

“Ich habe nicht gewusst, dass ich hier gegen heilige Gebote verstoße.“ Frau Gmoser wundert sich, denn sie hat ja nur ihre Wohnung eingerichtet. Einen Tisch in die Mitte des Raums gestellt, Lampen montiert, ein Kruzifix an die Wand geschlagen. Und sie hat die Falttüren, die den Küchenbereich und die Sofa-Nische vom Wohnraum trennen, ausgehängt. Weil sie im Weg waren und weil Frau Gmoser ihre Küche gern auch tagsüber anschaut. "Ich habe mir gedacht, ich darf da eh ein paar Elemente herausnehmen." Dass sie damit aber auch ein kühnes architektonisches Konzept zu Fall gebracht hat, war Frau Gmoser nicht bewusst.
Was war passiert? Beim Umbau des ehemaligen Rüsthauses von Bad Waltersdorf zum international viel beachteten Wohnbau "Schwarzer Laubfrosch" ging es der Grazer Architekturgruppe Splitterwerk um nichts Geringeres als die Revolutionierung des Wohnens. Das Konzept der seit zwei Jahren fertig gestellten Single-Mietwohnungen sieht pro Appartement einen neutralen Zentralraum vor, um den herum weitere Raumzonen wie Küche, Bad oder Arbeitsplatz, aber auch Sofa und Fernseher angelagert sind. Diese Bereiche können vom Bewohner individuell gestaltet und durch Faltwände zugeschaltet oder ausgeblendet werden. Der Zentralraum selbst wurde durch die Architekten mit ornamentalen Mustern ausgestaltet. Ein Kunstwerk? Durchaus, meinen Splitterwerk: "Wir widersprechen der gegenwärtigen Auffassung, dass Architektur eine Dienstleistung zu sein hat. Architektur heißt Baukunst."
Jedenfalls sollte der zentrale Raum von fixer Möblierung freigehalten werden, um seine Vielseitigkeit zu garantieren. Eine Spielregel, die Frau Gmoser wohl niemand mitgeteilt hat. In ihrer Wohnung ist der leere Raum jetzt eben vollgestellt, und die Falttüren lagern im Keller. Ist hier ein ambitioniertes Konzept glorreich gescheitert?
Nein, sagen Splitterwerk, das Wohnkonzept sei dennoch schlüssig. Frau Gmoser habe "einfach nur ein Angebot nicht angenommen". Dass es auch anders geht, zeigt Frau Moser in der Wohnung nebenan. Sie hat sogar ihre Bilder auf das Wohnambiente abgestimmt. "Ich habe mir immer so eine Wohnung gewünscht: zweigeschoßig, mit Licht von oben", schwärmt Frau Moser. Sie möchte so schnell nicht wieder ausziehen, und sogar ihre Schwestern zeigen sich interessiert, sollte eine weitere Wohnung frei werden.
Reißender Absatz also für das Wohnexperiment am Land? Vermieter und Eigentümer Franz Brugner schüttelt den Kopf: "Frau Moser hat mir der Himmel geschickt", freut er sich, denn sonst gestaltet sich die Vermietung problematisch: "Bei den meisten Interessenten herrscht basses Erstaunen." Bis auf eine sind nun aber alle zehn Wohnungen vermietet. Zuletzt ist ein junges Paar aus Bad Waltersdorf eingezogen. Davor musste die Wohnung aber erst einmal adaptiert werden. Jetzt, nachdem zusätzliche Lampen montiert, eine Küche eingebaut und den Wänden etwas mehr Farbe verpasst wurde, fühlen sich die beiden jungen Leute durchaus wohl.
Kleinere Umbauten durch Mieter nimmt Brugner aufgrund der schwachen Nachfrage mittlerweile gern in Kauf, und auch die Mietpreise wurden nach unten revidiert. Sein gegenwärtiger Kontostand bereitet ihm seither schlaflose Nächte: "Die Fachwelt feiert das Haus als gelungenes Experiment - ich aber zahle hier den Blutzoll." Und auch bei den Architekten gibt man sich mittlerweile nachdenklich: "Wir sind mit dem Projekt sicherlich an die Grenze gegangen und manchmal darüber hinaus."
Dabei gab es anfangs nur die besten Absichten: "Ich wollte mit dem Bau die geistige Einbahnstraße am Land durchbrechen und hochwertige Architektur für den Durchschnittsmenschen anbieten", erinnert sich Brugner heute. Würde er jemandem dennoch empfehlen, es ihm gleichzutun? Nein, entgegnet er: "So etwas ist nur machbar, wenn man entweder Mehrfachmillionär ist oder so naiv wie ich."

Kurzinfo
Artikel erschienen in der Printausgabe des Falter Steiermark Nr. 29/06

Fotos
Max Wegscheidler

Webtipp
nextroom.at/

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