TALSTATION PLANAI
Die Kurve kratzen
28.11.2006
Ramba Zamba: Wenn am 3. Dezember die Schischaukel „Golden Jet“ im obersteirischen Schladming eingeweiht wird, kann dieses Ereignis – erraten – nicht ohne Action, Show und Musik abgehen. „Spannend, innovativ, dynamisch“ sei vor allem die neue Talstation, von wo aus in Zukunft per Sessellift bis zu 4000 Passagiere pro Stunde noch bequemer zu den Schibergen Planai und Hochwurzen entschweben werden. Abheben im wahrsten Sinn des Wortes sollen aber bald nicht nur Pisten-Aficionados, sondern auch die Betreiber der neuen Liftanlage: „Mehr Emotion“ verspricht sich Albert Baier, Chef der Planai-Hochwurzen-Bahnen, durch die extravagante Talstation, mit der gegen Mitbewerber im Wintertourismus gepunktet werden soll. Dass die Konkurrenz nicht nur im „weltweiten Wettbewerb“, wie Baier meint, sondern auch gleich nebenan zu finden ist, verrät pikanterweise der Golden Jet selbst: Gerüchten zufolge geht der Name auf einen Kleinkrieg zwischen den Planai-Hochwurzen-Bahnen und den Betreibern der zum selben Schigebiet gehörenden Reiteralm zurück. Dort verkehrt seit kurzem die Gondelbahn „Silver Jet“ – sie dürfte an Coolness nun eindeutig abgeloost haben.
Lässt man das Getöse der Werbetexte rund um den Golden Jet und seine neue Talstation – „die Form der Station ist den verschiedenen Radien des Carving-Schwungs nachempfunden“ – einmal beiseite, entpuppt sich das Gebäude als durchaus intelligente Antwort auf ein komplexes Anforderungsprofil. Dass die Logowirkung des Bauwerks im Vordergrund steht mag wenig verwundern, zumal sich Schladming gerade um die Austragung der Weltmeisterschaft 2013 bewirbt – ein Ziel, das durch den Neubau unterstrichen werden soll. Dankenswerterweise ist das junge Grazer Architekturbüro Hofrichter-Ritter – es hatte die Planung als Folgeauftrag eines 2005 gewonnenen Wettbewerbs für das noch zu realisierende Zielstadion der Planai erhalten – trotzdem keinen plumpen Formalismus verfallen. Vielmehr setzten sich die Architekten mit der Frage auseinander, wie die vom Berg ankommenden Schifahrermassen möglichst reibungslos zu den beiden von der Talstation abgehenden Liften umgelenkt werden könnten. „Die Form entsteht aus der natürlichen Logik der Bewegung der Schifahrer“, erläutert Architekt Gernot Ritter die Gestalt des Gebäudes, das die beiden im rechten Winkel zueinander liegenden Lifte in geschwungenem Bogen miteinander verbindet. So bildet sich ein zentraler Platz, der die Besucher gleichzeitig empfängt und weiterleitet. „Es muss schon alleine aufgrund der Gebäudeform klar sein, wie ich weiterfahre“, sagt Ritter, „am besten ist, wenn das Gebäude gar nicht auffällt, sondern nur als Schwung in Erinnerung bleibt.“
Bei solch nobler Zurückhaltung verwundert dann aber doch die Größe des zweigeschoßigen Bauwerks, das abgesehen von den beiden Liften lediglich vier Kassen, einige Sanitär- und Aufenthaltsräume sowie ein noch zu realisierendes Restaurant beherbergt. Die eigentümliche Leere, die heute hinter der transparenten Fassade aus gelochtem Alublech (Lob: nicht golden, sondern himmelblau) sichtbar wird, ist allerdings Programm. Mit Absicht werden die Schifahrer bereits im Obergeschoß der Talstation von der Piste abgefangen und zu den Liften geleitet, während im Erdgeschoß große überdachte Freiflächen geschaffen wurden, die erst später modulartig ausgebaut werden sollen. Dass sich auch die passenden Investoren für einen Ausbau finden, davon ist Bauherr Baier überzeugt. Eben erst wurden im Umfeld der Talstation umfangreiche infrastrukturelle Maßnahmen getroffen, ein 4-Sterne-Hotel, das neue Schladminger Krankenhaus und der Bahnhof befinden sich gleich nebenan. „Der Ortsteil ist touristisch noch wenig entwickelt, aber es tut sich schon ein bisserl was“, sagt Baier zum unternehmerischen Risiko und meint: „Stillstand ist Rückschritt“.
Das schlanke Raumprogramm mag mit dafür verantwortlich sein, dass die Talstation in der rekordverdächtigen Bauzeit von nur vier Monaten realisiert werden konnte, sich aber auch die Baukosten von 1,7 Mio. Euro in überschaubaren Rahmen hielten. Dennoch bleibt die bange Frage, ob die Talstation auf der bescheidenen Seehöhe von 750 Metern in Zukunft überhaupt per Schi erreicht werden kann – Prognosen sagen für den Alpenraum eine Temperaturzunahme von bis zu 4,5 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 voraus. „Ich bewundere Leute, die sich pauschale Prognosen zu tätigen trauen“, wehrt Baier ab, „wir wissen, dass das Klima ständig in Bewegung ist, aber Änderungen gehen langsamer vor sich als immer wieder prophezeit.“ Die Schneesituation in Schladming wird aber auch von Expertenseite eher entspannt beurteilt: „Selbst bei anhaltendem Klimawandel wird man in Schladming in den nächsten zwanzig Jahren im Winter noch Schi fahren können“, weiß Ulrike Pröbstl, Professorin am Wiener Institut für Landschaftsentwicklung, das gegenwärtig klimatologische Untersuchungen in Schladming betreibt. Erst ab 2030 sei mit einer deutlichen Zunahme der Erwärmung zu rechnen, weshalb die Zeit bis dahin zur Entwicklung alternativer Erwerbsszenarien – Stichwort Vier-Jahreszeiten-Tourismus – genützt werden sollte: „Wer den Kopf in den Sand steckt, wird zu spät dran sein.“ Die Optimierung infrastruktureller Einrichtungen wie Seilbahnen und Lifte beurteilt Pröbstl jedenfalls positiv, da der Tourismus als saisonales Zubrot landwirtschaftlicher Betriebe auch zum Landschaftserhalt beitrage. Das sieht auch der Architekt so: „Die Erreichbarkeit der Berge wird auch in Zukunft ein Thema bleiben“, sagt Ritter, „wir sehen es als unsere Aufgabe an, funktionierende Strukturen durch Design zu verstärken“.
Ist Architektur also reine Dienstleistung? Ritter verneint mit Hinweis auf die politische Dimension des Projekts: „Das Gebäude polarisiert – und setzt so ein Zeichen in Schladming, wo Jahrzehnte lang architektonisch gar nichts passiert ist.“ Möglicherweise eine romantische Vorstellung, denn Ortsansässige halten sich mit Kritik an der Architektur der Talstation eher zurück – vielleicht auch, um es sich mit den Planai-Hochwurzen-Bahnen, einem wichtigen Arbeitgeber der Region, nicht zu verscherzen. Trotzdem könnte es noch einmal spannend werden, wenn nämlich mit dem Ausbau der noch leeren Flächen im Inneren der Talstation Ernst gemacht wird. Da die Wiedererkennbarkeit des Gebäudes durch seine prägnante Fassade ohnehin gegeben sei, kann sich Ritter dahinter „vom Puff über die holländische Käsehütte bis zur Edelboutique“ alles Mögliche vorstellen. Die Architektur der Ausbauten will er dabei bewusst offen lassen: „Gerade im Tourismus, wo es dauernd um trendige, poppige, auch oberflächliche Dinge geht, ist es absurd zu sagen, dass alles vom Architekten geplant werden muss.“ Anything goes? So gesehen könnte die elegante Talstation des Golden Jet trotz Halli-Galli und Pistenzauber dereinst einmal beinahe einen Hauch von Anarchie versprühen.
Artikel erschienen in der Printausgabe des Falter Steiermark Nr. 48/06
Foto
Max Wegscheidler
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